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aktualisiert: 10.03.2019

Der Hafenbaukasten in den Margarine-Würfeln
Eine typische DDR-Geschichte

Als ich diese "Margarine-Würfel" bei Willy Reuter in Olbernhau sah, blitzten sofort Kindheitserinnerungen auf: Zwei, drei oder gar vier dieser Würfel hatte ich und mein Bruder selber besessen, irgendwie auf Sammelmarken von Margarinepapier erworben, die Mutter bestürmt, Margarine zu kaufen! Die reine Sammelwut brach aus! Sammelmarke kam zu Marke (wie viele brauchte man für einen Baustein?). Dann war irgendwann plötzlich Schluß mit den schönen Hafenbausteinen, von denen es nach dem großen Hafen-Übersichtsblatt so viele gab! Und die Würfel gerieten in Vergessenheit, die Holzteile irgenwann in den Ofen...

Das waren aber nicht die einzigen Teile dieser wohl einzigartigen Baukastenserie, die in den Ofen wanderte. Von Willy Reuter, dem damaligen Entwicklungschef der Baukastenfabrik E. Reuter, Hersteller des Würfels Nr. 8 , erfuhr ich die Geschichte aus der Sicht des Baukastenherstellers. Wer kennt die Geschichte auf Seiten der Margarine-Produzenten (Marken Sahna, Marina, Vita und Sonja), aus Sicht der damaligen "wirtschaftsleitenden Organe", und wer kennt den (Berliner) Designer dieses schönen Hafenbaukastens?

Die Aktion hatte zwei Ziele: 1. wurden für den Bau des Rostocker Überseehafens (die DDR hatte bis dahin keinen) Millionen Tonnen Steine benötigt, die in der gesamten DDR gesammelt werden sollten, z. B. Pionieren und FDJlern in den Schulen. Für eine Stunde Sammeln gab es eine bestimmte Menge Sammelmarken für den Hafenbaukasten (s. auch den Gästebucheintrag von Manfred Dietl). 2. Der Konsum von Margarine sollte Ende der 50er Jahre mit einer Werbekampagne gefördert werden. Butter war in der DDR das Lebenmittel, das am längsten rationiert war - mit einiger Sicherheit behaupte ich: auch noch zur Laufzeit dieser Kampagne. Als Ersatzprodukt war Margarine geeignet und sollte die Butternot mildern helfen. Die Werbeidee war nun wohl: Eine bestimmte Anzahl von Sammelmarken, die sich wohl auf dem Verpackungspapier der Margarine befanden, konnten vom Konsumenten gegen einen der 8 unterschiedlichen Baukastenwürfel eingetauscht werden.

Der gesamte Vorgang war ein Staatsplanthema und firmierte intern als 'Aktion Jugend'. Die für die Herstellung der einzelnen Würfel beauftragten Baukastenfirmen VEB Baukastenfabrik Blumenau (Würfel 1 bis 5), C. Fritzsche Blumenau (Würfel 6 und 7) und Baukastenfabrik E. Reuter bekamen damit besondere Kontingente. Der Absatz war natürlich staatlich abgesichert.

Die Reuter-Baukastenfabrik produzierte den Würfel Nr. 8 planmäßig und füllte Läger und Nebengebäude bis unter die Decke. Es wurde aber lediglich eine Lkw-Ladung des Produktes abgeholt. Offenbar wurde dann das gesamte Staatsplanthema gestoppt (führte die Aktion zu keiner Absatzerhöhung der Margarine?). Um die Läger wieder frei zu bekommen, wurden bei Reuter nach und nach die Würfel in allen möglichen Öfen verfeuert - dazu waren sie wahrlich bestens konfektioniert!

Archivmaterial ist zu entnehmen, dass die Fa. C. Fritzsche "wegen der rückläufigen Tendenz in Baukästen ... noch während der Herbstmesse 1959 eine Teilproduktion aus der 'Aktion Jugend' (Margarine-Stützungsaktion) übernommen" hat. Mit einem Auftragsvolumen von 450.000 DM für 1960 war damit der unter der Rubrik 'Spielelemente (Aktion Jugend)' geführte Auftrag genauso groß wie die übrige traditionelle Baukastenproduktion (je 43 % des gesamten Auftragsvolumens Mitte 1960).
Doch bereits im April 1961 ist die Aktion Jugend offenbar 'gestorben'. Im Protokoll der Gesellschafterversammlung der Fa. C. Fritzsche aus diesem Monat wird von Anstrengungen berichtet, die Restbestände in einem neuen Hafenbaukasten zu integrieren und dem Handel anzubieten. Skepsis herrscht aber schon hier wegen des nicht unerheblichen Aufwandes, die bereits konfektionierten 'Margarinewürfel' in einem neuen Baukasten zu überführen.
Diesen Baukasten gab es tatsächlich. Den Kasten mit Karton kann ich leider hier noch nicht vorstellen, aber das bei meinem Exponat Margarine-Würfel 8 gezeigte Gesamtmodell könnte ggf. das Ergebnis gewesen sein.
Aber auch die Kartonverpackung des Würfels 8 wurde nachgenutzt: Einige Jahre später wird ein kleiner Helikopter in diesem Würfel, zwei Seiten überklebt, hergestellt.
Für die beteiligten Firmen war die Aktion übrigens ein zweischneidiges Schwert. Zwar spülte sie den Eignern kurzzeitig wegen der offenbar sehr günstigen Konditionen einen Extra-Gewinn in die Kassen, hatte andererseits aber eine überhöhte nächstjährige Planauflage zur Folge.

Die Ebert-GmbH aus Blumenau hat sich mit ihrem Hafen-Baukasten wohl diesem schönen (aus Baukasten-Sicht!) Erbe angenommen(?).
   
  Autor: Joachim Kleindienst        März 2003